Allgemeines
Titel: Dear Sister
Verlag: Vajona Verlag
Autor*in: Klara Robert
Meine Genre-Einordnung: Young Adult Romance
Seitenzahl: 420 Seiten (broschiert)
Kapitel: 37 Kapitel, einige Zwischenkapitel aus Joes Sicht
Perspektive: Auktorialer Erzähler, Sicht von Jenna, Joe, teilweise auch Jack und Julia
ISBN: 978-3-948985-04-2
Preis: 14,90€ broschiert, 8,99€ eBook
Allgemeine Meinung
Nett für Zwischendurch
Dankeschön an den Vajona Verlag, der mir dieses Exemplar zur Verfügung gestellt hat.
Rezension
Diese Rezension zu verfassen wird mir nicht leichtfallen. Zunächst starten wir auf jeden Fall mit einer Spoilerwarnung und einer inhaltlichen Zusammenfassung.
In „Dear Sister“ geht es um die Zwillingsgeschwister Jenna und Joe. Im Laufe der Geschichte merkt Joe, dass er Gefühle für seine Schwester entwickelt, die so nicht da sein sollten. Es hilft nichts, sie zu verdrängen und Joe muss sich unweigerlich der Frage stellen, wie es weitergehen soll.
Ich habe dieses Buch angefragt, weil die Thematik so verboten und anders ist, als alles, was ich je gelesen habe im Romance-Bereich. Jeder kennt diese Geschichten, in denen sich die Stiefgeschwister verlieben und ein riesiges Drama daraus machen. Ich persönlich sehe da kein Drama. Doch bei diesem Buch ging es um blutsverwandte, tatsächliche Geschwister, und es hat mich unglaublich interessiert, wie die Autorin dieses Stigma aufgreift.
Und es wirft Fragen auf. In unseren Köpfen ist die Liebe innerhalb einer Familie verpönt, stigmatisiert und in einigen Ländern sogar per Gesetz verboten. Es gibt Gefängnisstrafen, wenn zwei blutsverwandte Familienmitglieder Beischlaf üben.
Kommen wir nun zum Buch. Es gibt viele Dinge, die ich darüber zu sagen habe und ich werde mich bemühen, so ehrlich und konstruktiv zu sein, wie ihr es von mir gewohnt seid.
Zunächst: Ich möchte ganz ehrlich mit euch sein. Die Thematik hat mich gleichermaßen fasziniert wie abgeschreckt. Ich habe selbst einen Bruder und ich könnte mir niemals vorstellen, in irgendeiner anderen Weise als brüderlich mit ihm umzugehen. Als Joe sich eingesteht, dass er tatsächlich in seine Schwester verliebt ist, habe ich zuerst Ekel empfunden. Ja, ich gebe es zu. Diese Vorstellung ist für mich so absurd und fern von allem, was ich moralisch vereinbaren kann. Doch auch für Joe ist dieses Eingeständnis sehr schwierig. Er versucht, sich davon abzuhalten, diese Gefühle zu empfinden und kann sich dennoch nicht wehren. Also habe ich versucht, nicht voreingenommen an dieses Buch heranzugehen.
Nun, ich werde euch jetzt erstmal Stück für Stück von vorne bis hinten mitnehmen. Ein paar formale Sachen vorneweg:
Was ich sehr schade fand, war, dass man sich kaum in die Figuren hineinversetzen konnte. Die Autorin hat einen Schreibstil, der sehr handlungsorientiert ist und nur wenig in die Köpfe der Protagonisten schaut. Das macht es schwierig, sich in die Charaktere hineinzuversetzen. Dazu kommt der auktoriale Erzähler, der dafür sorgt, dass wir die Geschehnisse abwechselnd durch Jennas und Joes Augen erleben. Dennoch ist das kein Minuspunkt, denn es gibt deutlich anstrengendere auktoriale Erzähler.
Mir fiel es sehr schwer, mit den Figuren warm zu werden und daher war es für mich auch schwierig, ihre Gefühle und Handlungen nachzuvollziehen. Zudem werden den Charakteren manche Eigenschaften zugewiesen, nach denen sie jedoch nicht handeln. Das hat sie schwierig zum nachvollziehen gemacht.
Jenna zum Beispiel wird als starke Frau bezeichnet, ist aber über die Hälfte des Buches in einer toxischen Beziehung. Da ich sehr wenig Einblicke in ihren Kopf erhielt, fiel es mir sehr schwer, dieses Handeln nachzuvollziehen. Der Typ behandelt sie wirklich wie Dreck und sie bleibt dennoch bei ihm. Nicht zuletzt, weil sie Angst hat, die Geschäftsbeziehung ihres Vaters zu seinem Vater geht dadurch kaputt. Was meiner Meinung nach ein sehr irrationaler Gedanke war, denn ihr Vater selbst hat das, soweit ich mich erinnern kann, nicht zu einer Bedingung gemacht. Zudem würden gute Eltern es verstehen, wenn die Tochter mit einem Arsch Schluss macht. Außerdem sollte man in der Lage sein, in solchen Sachen geschäftliches und privates zu trennen.
Joe ist ein sehr eifersüchtiger Charakter. Dies macht sich auch sehr deutlich, da er fast allergisch auf Jennas Freund reagiert. Zunächst könnte man denken, er möchte einfach nur seine Schwester beschützen. Doch es wird immer deutlicher, dass dies nicht der einzige Grund ist.
Was mich auch sehr irritiert hat war, dass er seine Schwester „Kätzchen“ nennt. Dies ist eine Bezeichnung, die man vielleicht für seine Freundin verwendet, aber nicht unbedingt für seine Schwester. Aber das kann man auch so dahingestellt lassen und es entspricht nur meinem eigenen Gefühl, dass dieser Kosename für mich seltsam wirkt.
Joe hat seine eigene Vergangenheit mit den Frauen, die ebenfalls auf eine Verliebtheit in seine Schwester hindeutet. Er war mit einem Mädchen zusammen, dass sich getrennt hat, weil er sehr viel Zeit mit seiner Schwester verbracht hat und seine Freundin anscheinend vernachlässigt hat. Dies wird durch einige Rückblenden deutlich. Auch hier kann man schon darauf schließen, dass er nicht nur geschwisterliche Gefühle für seine Schwester hat.
Die Freunde von Jenna und Joe, Jack und Julia, nehmen auch eine sehr wesentliche Rolle in diesem Buch ein. Julia und Jack sind nämlich die ersten, die merken, dass etwas mit Joe nicht stimmt. Julia benennt es gegen Ende des Romans sogar und versucht, Joe zu beruhigen.
Ein großer Pluspunkt für das Buch war, dass Jenna es von ganz allein schafft, sich aus ihrer toxischen Beziehung zu befreien und nicht aufgrund eines anderen Jungen. Somit sendet die Autorin eine sehr wichtige Message: Man braucht manchmal nur etwas Zeit, um es allein zu schaffen und vor allem keinen anderen Typ/andere Frau die einem durch Liebe da hinaus helfen.
Es fiel mir tatsächlich etwas schwer, an dem Buch dranzubleiben. Der Schreibstil ist sehr einfach zu lesen, durch die wenigen Elemente, die einen normalerweise wegdriften lassen, aber auch etwas anstrengend. Hier greift das sprichtwörtliche „Show, don’t tell“. Das habe ich etwas vermisst.
Gegen Ende, als das Buch sich dem Höhepunkt nähert und der große Knall kommt, war es besser und ich bin nur so durch die Seiten geflogen. Dies mochte zu einem Großteil aber auch daran liegen, dass ich unbedingt wissen musste, wie es ausgeht. Und das Ende ist wirklich fies. Es endet so, dass man den zweiten Teil ebenfalls lesen muss, um zu erfahren, wie es für Jenna und Joe weitergeht.
Joe gesteht Jenna seine Liebe. Und Jenna ist innerlich zerrissen. Man merkt, dass sie vielleicht auch solche Gefühle haben könnte.
Zusammenfassend: Das Buch war für mich teilweise anstrengend, teilweise einfach zu lesen. Leider konnte ich mich nicht so gut in die Charaktere hineinversetzen. Die Thematik hat es mir ebenfalls schwer gemacht, aber das ist ja ein anderer Schwerpunkt.
Ich finde es tatsächlich sehr mutig von der Autorin, solch ein Fass aufzumachen. Ich möchte gar nicht wissen, was für Hassnachrichten sie eventuell dafür bekommt, dass sie über Geschwisterliebe schreibt und suggeriert, dass dies etwas ist, das man nicht verurteilen soll. Dies zeigt sie durch Julias Augen, die Joe in keiner Weise anders als vorher behandelt und ihm sogar irgendwie helfen möchte. Ich persönlich möchte dazu nur sehr vorsichtig Stellung nehmen.
Für mich ist erotische Liebe unter Geschwistern ein No-Go. Dennoch sehe ich mich nicht in der Lage, dies zu verurteilen oder zu stigmatisieren. Denn ich frage mich unweigerlich, wie ich in so einer Situation handeln würde. Und ich habe darauf keine Antwort.
Als ich das Buch beendet habe, hat es einen Nachgeschmack auf meiner Zunge hinterlassen. Das Ende kam und ging mit einem gewaltigen Knall und ich wusste, dass mir die Rezension dazu nicht leichtfallen würde. Selten habe ich ein Buch gelesen und danach so ein verwirrendes Chaos in mir gehabt wie bei diesem hier.
Ich hoffe, ich habe mich nicht unkonstruktiv oder beleidigend ausgedrückt. Ich möchte dennoch noch einmal anmerken, dass dies meine persönliche Meinung ist und ich das Buch nicht aufgrund seiner Thematik verurteile. Viel mehr finde ich es mutig und bewundernswert, dass die Autorin sich an dieses Thema gewagt hat. Ich finde nur, man hätte noch mehr aus der Geschichte herausholen können, wenn man mehr auf die Charaktere und ihre Handlungen eingegangen wäre, sodass man sich in sie auch hineinversetzen kann.